D. Schäfer: Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen

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Titel
Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen 1. Mensch und Umwelt im Holozän Tirols 1


Herausgeber
Schäfer, Dieter
Erschienen
Innsbruck 2011: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
560 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Urs Leuzinger

Der Herausgeber D. Schäfer ist Leiter des «Mesolithikum-Projekts Ullafelsen». Die frühmesolithische Fundstelle befindet sich im Fotschertal, 20 km südwestlich von Innsbruck, auf 1869 m ü.M. Sie wurde 1994 im Rahmen von Prospektionen in den Tiroler Alpen entdeckt und bis 2004 während 11 Grabungsmonaten von einem interdisziplinären Team auf einer Fläche von 25 m2 ausgegraben.

Nun liegt Teil 1 der Auswertung in Form eines 560-seitigen, reich bebilderten Werks vor. Das schön gestaltete Buch ist klar strukturiert, sorgfältig redigiert, verständlich geschrieben und mit qualitativ hochwertigen Fotografien, Grafiken und Radierungen des Künstlers K. Henker illustriert. Das Autorenkollektiv setzt sich — «in der Reihenfolge ihres Auftritts» — zusammen aus E. Schlosser, A. Gruber, C.-S. Holdermann, P. Nittel, H. Kerschner, C. Geitner, S. Bussemer, O. Ehrmann, A. Ikinger, R. Traidl, D. Tscherko, I. Kemmer, K. Oeggl, W. Schoch, K. und
N. Kompatscher, D. Schäfer, A. Pawlik, S. Bertola und G. Niedermayr.
Der erste Aufsatz (Schlosser) befasst sich mit den klimatischen Bedingungen im Tal. Interessant sind die Untersuchungen zu den Windverhältnissen im Bereich der Fundstelle. Morgens und abends bläst der Wind talauswärts. Eine Artefaktkonzentration südlich (taleinwärts) der mesolithischen Feuerstelle F2 lässt den Autor deshalb vermuten, dass die Jäger ihre Waffen, vor Rauch geschützt, früh und/oder spät am Tag warteten.

Zwei Kapitel (Gruber und Holdermann) beschreiben die Geologie und Morphologie der Ötztaler und Stubaier Alpen sowie die Verhältnisse im Fotschertal. Bemerkenswert ist die gut erklärte Zusammenfassung der Orogenese der westlichen Ostalpen.

Die Hydrogeologie und die Geomorphologie des Fotschertales werden von P. Nittel abgehandelt. Die Autorin führte 2006 eine Neukartierung in der Region durch. Neben den detailliert beschriebenen Gesteinsvorkommen und Bodentypenspektren sind 28 Quellen in der Umgebung des Ullafelsens zu erwähnen.

H. Kerschner befasst sich mit den spätglazialen Gletschervorstössen im Tal. Die Fundstelle Ullafelsen war bereits an der Wende von der Ältesten Dryas zum Bölling-Interstadial eisfrei und wurde seither nicht mehr vom Eis überfahren.

Ein Kapitel widmet sich den bodenkundlich-stratigrafischen Befunden am Ullafelsen (Geitner et al.). Als Leithorizont wird ein äolisches Sediment — wohl Gesteinsstaub von Ausblasungen während der Jüngeren Dryas — beschrieben. Dieser graue «Light Layer» liegt direkt unterhalb der mesolithischen Ablagerungen und bildet einen regional bisher unbekannten Marker. Erste Bodenbildungen fanden im Bölling und Alleröd statt.

Die rezente Vegetation im inneren Fotschertal wird von I. Kemmer präsentiert. Entlang der Höhenstufen sind die verschiedenen Vegetationseinheiten wie montane Fichtenwälder, subalpine Arven-Wälder, Grünerlengebüsche oder alpine Magerrasen beschrieben. Die präboreale Waldgrenze lag knapp unterhalb des Ullafelsens; die heutige Grenze würde — ohne anthropogene Beeinflussung — die Höhe von 2280 m ü.M. erreichen.

Analysen an Holzkohlen aus drei mesolithischen Feuerstellen stammen von K. Oeggl und W. Schoch. Als Brennmaterial sind 78% Arve, 10% Weide, 8% Kiefer sowie vereinzelt Birke, Legföhre, Erle, Pomoideae und Ericaceae nachgewiesen. Die Fichte fehlt, denn sie war im Präboreal noch nicht vorhanden.

Lesenswert sind die Ausführungen von K. und N. Kompatscher über die mittelsteinzeitlichen Fernverbindungen über den Alpenhauptkamm. Viele Prospektionen haben hauptsächlich im Südtirol zahlreiche mesolithische Fundstellen geliefert. Neben den Wohnplätzen in Tallagen (150–250 m ü.M.) und wenigen Rastplätzen in der montanen Zone überwiegen hochalpine Fundplätze (1800–2300 m ü.M.). Sie werden anhand der jeweiligen Silexinventare in Basis- und Jagdlager unterteilt. Die Nähe zum Wasser, die Sicht sowie die Topografie (Jagdgebiete, Passagen) sind massgebliche Parameter für die Auswahl der Lagerplätze. Die Fundstellenverteilung ermöglicht es, mesolithische Wegnetze zu rekonstruieren. Anhand der Rohmaterialzusammensetzung kann man sogar die Richtung der sommerlichen Jagdzüge nachvollziehen.

Die mesolithischen Befunde und Funde vom Ullafelsen werden von D. Schäfer vorgestellt. Zahlreiche Farbfotos und Pläne unterstützen die akribische Profil- und Schichtbeschreibung. In der 25 m2 grossen Grabungsfläche kamen 14 Feuerstellen zum Vorschein. 20 AMS-Datierungen belegen, dass der Fundplatz zwischen 9200 und 7500 BC cal. aufgesucht wurde. In Fläche 1 fanden sich 7898 eingemessene Silices. 80% haben eine Länge zwischen 1 und 8 mm. Artefaktkonzentrationen wurden an der Peripherie und zwischen den Feuerstellen festgestellt. Das Rohmaterial gliedert sich in 36% südalpinen Kreideflint, 32% nordalpinen Hornstein und Radiolarit, 22% Plattenhornstein aus Bayern sowie 7,9% inneralpinen Bergkristall. An Geräten bzw. deren Bruchstücken entdeckte man u.a. 25 Kratzer, 15 Stichel, 12 Endretuschen, 8 Bohrer und 62 Mikrolithen (21 Dreiecke, 20 Spitzen, 11 Rückenlammellen, 2 Segmente, 1 lang-schmales Trapez, 7 Diverse). 29 Kerbreste belegen die Herstellung von Geschosseinsätzen an Ort.

Der Aufsatz A. Pawliks befasst sich mit der funktionalen Analyse der Steingeräte. 252 Artefakte wurden unter dem REM auf Gebrauchs- und Schäftungsspuren (Birkenpech) untersucht. Gemäss diesen Analysen wurden in der Fundstelle Jagdwaffen angefertigt, repariert, gewartet und entsorgt.

S. Bertola führte die Rohmaterialanalysen an den süd- und nordalpinen Silices und Radiolariten durch. Viele Artefakte konnten den z.T. über 200 km entfernten Lagerstätten zugeordnet werden. Interessant ist der hohe Anteil an Artefakten aus Plattenhornstein der südlichen Frankenalb in Bayern (502 Stück). Die 270 Objekte aus Bergkristall untersuchte G. Niedermayr. Bisher gelang die Lokalisierung der Lagerstätten nicht; Aufschlüsse in den Hohen Tauern, Zillertaler und Tuxer Alpen kommen in Frage.

Das vorliegende Buch ist eine beispielhafte Vorlage interdisziplinärer Ergebnisse mesolithischer Alpinforschung und kann als gelungenes Vorbild für vergleichbare archäologische Untersuchungen im Alpenraum gelten.

Zitierweise:
Urs Leuzinger: Rezension zu: Dieter Schäfer (Hrsg.) Das Mesolithikum-Projekt Ullafelsen (Teil 1). Mensch und Umwelt im Holozän Tirols 1. Innsbruck 2011. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 261-262.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 261-262.

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